The Smuggler

Die Schmugglerin

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Ein gemütliches Wohnzimmer

Wie nett von Ihnen, dass Sie gekommen sind, um mich zu besuchen.

Oh ja, ich kriege viele Besucher. Ein paar alte Freunde, einige neuere Freunde und dann gibt es noch meine Familie. Allerdings habe ich noch nie zuvor einen Journalisten eingeladen.

Naja, ich hatte bis jetzt nie das Bedürfnis, davon zu erzählen. Oder besser gesagt, ich hatte das Bedürfnis, habe aber nie entsprechend gehandelt.

Nun, als aller Erstes: wir haben uns auf die Anonymisierung meiner Identität geeinigt. Haben Sie vor, sich an diese Einigung zu halten?

Sehr gut. Dann lassen Sie uns loslegen. Ja, genau. Eine Geschichte vom Krieg.

Ob ich in Europa oder im Pazifik gekämpft habe? Mein guter Herr, sie sind entweder höfflich oder naiv. Erkennen sie etwa nicht meinen Akzent?

Nein, es ist schon in Ordnung. Wie ich Ihnen bereits am Telefon erklärt habe, wird dies keine normale Geschichte sein.

Ja, mir ist bewusst, dass ungewöhnliche Geschichten genau das sind, wonach sie für Ihr Panorama des Zweiten Weltkriegs suchen.

Eine Sache im Voraus: ich werde nicht sonderlich viel von meinen Kameraden, oder gar mir selbst, erzählen.

Ja, natürlich könnte ich Ihnen meine Vorgeschichte erzählen, und ich könnte Ihnen erzählen, wie ich dort gelandet bin wo ich nun mal gelandet bin.

Aber das ist alles nur leeres Gerede. Es ist eine Geschichte die schon zu oft von zu vielen Stimmen erzählt wurde.

Jede Stimme ist ihre eigene Geschichte, sagen Sie? Versuchen Sie nicht, mich zu beschmeicheln, dafür bin ich zu alt. Es gibt Geschichten, die wichtiger sind als meine eigene.

Sehen Sie, es gibt Geschichten, die nicht erzählt wurden. Die Geschichten von denjenigen, die gestorben sind, und deren ganzen Familien mit ihnen vernichtet wurden.

Als sie gestorben sind, gab es niemanden, der um sie trauerte oder sich erinnerte. Außer die Mörder.

Sie sehen aus, als sei Ihnen unangenehm. Das ist nicht was sie erwartet haben, oder? Sie können gerne jederzeit gehen. Sie würden lieber bleiben? Bemerkenswert.

Wissen Sie, ich habe in letzter Zeit viel nachgedacht. Wenn ich sterbe, werden Leute trauern. Sie werden mich in einem netten Katholischen Trauergottesdienst beerdigen. Ein paar Fotos in den alten Alben behalten.

Es ist eigentlich ganz nett.

Diejenigen, die ich getötet habe, hatten diesen Luxus nicht. Die meisten von ihnen haben ihn mehr verdient als ich ihn je verdienen werde. Lassen Sie mich Ihnen von ihnen erzählen.

Warschau

Ich war schon länger als ein Jahr in Warschau stationiert, als es anfing. Zu dem Zeitpunkt führte ich hauptsächlich niedrigere Aufgaben aus: Wachdienst, Aktionen und so weiter.

Ab und an wurden wir – meine Kameraden und ich – in die Abwasserkanäle geschickt, um Schmuggler aufzuhalten.

Die Arbeit in den Kanälen war abartig. Der Gestank von Exkrementen weigerte sich über Stunden hinweg, unseren Uniformen zu entfliehen.

Es war nicht, als wäre die Arbeit umsonst. Wir haben in unserer Zeit einige Schmuggler erschossen. Nur ein oder zwei von ihnen hatten Waffen.

Damals war uns bereits die Möglichkeit von einem bisschen Widerstand bewusst. Schließlich waren die Menschen am Verhungern.

Zu dem Zeitpunkt stand uns allerdings nur die Bedrohung von vereinzelten Vorfällen gegenüber. Die Deportationen hatten noch nicht begonnen.

Wohin? Mein guter Herr, sind Sie sich Ihrer Geschichtskunde nicht bewusst? Natürlich nach Treblinka. Sie sagen, sie hätten noch nie zuvor von diesem Lager gehört? Wie enttäuschend.

Ja, ja, natürlich kennen Sie Auschwitz. Jeder kennt Auschwitz.

Haben Sie sich schon mal gewundert, warum das so ist? Es ist weil, so schrecklich wie es auch war, manche Menschen Auschwitz überlebt haben. Es muss Tausende gegeben haben, die lebendig da raus gekommen sind.

Ich nehme an, dass die Anzahl für Treblinka ein paar dutzend ist, und das auch nur, weil die Juden dort einen Aufstand organisiert haben.

Jeder wurde in Treblinka getötet. Zumindest fast jeder. Sobald man aus dem Zug gestiegen oder gestürzt ist, hatte man keine Chance. Das ist es, was diese Leute erwartete.

Wie bereits erwähnt, hatten zu diesem Zeitpunkt die Deportationen noch nicht begonnen. Wir, meine Kameraden und ich, hatten unsere Hände voll mit dem Bekämpfen von Schmugglern.

Viele der Schmuggler waren Kinder, kleine Jungen und Mädchen, manche kaum älter als vier. Sie trugen Bündel voll Güter, die in der Regel mehr wogen als sie selbst.

Schmuggeln war ihre einzige Hoffnung auf überleben, denn trotz der fehlenden Deportationen wurden die Ghettobewohner in einem konstanten Hungerzustand gehalten.

Diese Schmuggler waren schnell und schlau. Und mutig, auf ihre eigene Art und Weise.

Es gibt eine bestimmte kleine Schmugglerin, die ich nicht vergessen kann. Ich würde Ihnen jetzt gerne von ihr erzählen.

Sie muss neun oder zehn Jahre alt gewesen sein. Dünn, wie der Rest, mit hellen Haaren und dunklen Augen.

Ich sah sie öfters im Ghetto. Sie trug eine grüne Jacke, die im grauen Schmutz des Ortes fast leuchtete.

Was mich jedes Mal aufs Neue überraschte, war das sie ein bisschen besser genährt zu sein schien als die anderen Kinder.

Sie war dünn, die anderen waren Haut und Knochen. Manche fielen auf den Straßen tot um. Es wäre für jeden Beobachter eindeutig gewesen, dass sie eine Schmugglerin war.

Ich habe sie einmal angehalten, als sie ein großes Bündel auf ihrem Rücken trug. Bei Tageslicht! Die Schmuggler ruhten nie.

Naja, es war nicht sonderlich ungewöhnlich, im Ghetto Menschen mit Bündeln zu sehen. Tatsächlich sah man die seltsamsten Sachen.

Ich könnte Ihnen genaueres dazu erzählen, aber das wäre eine ganz andere Geschichte. Ich habe sie angehalten und befragt.

„Was hast du da?“ fragte ich. „Kleidung“, antwortete sie ohne mit der Wimper zu zucken.

Wenn man ihr unschuldiges Gesicht anschaute, konnte man sich nicht vorstellen, dass sie log.

Fakt war dass ich sie in der Nähe eines vermuteten Eingangs zu diesen verfluchten Kanälen gefunden hatte und das Kinder oft als Schmuggler eingesetzt worden.

Ich nehme an, die Juden dachten, wir würden die Kinder nicht erschießen. Natürlich hatten sie in dieser Vermutung nicht Recht und wir haben sie ziemlich schnell eines Besseren belehrt.

Oh, Ihr Gesichtsausdruck. Ja, wir haben auch die Kinder erschossen. Später haben wir sie vergast. So wurde es damals geregelt. Ob ich es nicht bereue, fragen Sie? Nein.

Erlauben Sie mir, es Ihnen zu erklären: diese Sachen wurden alle von einem anderen Ich getan, in einer ganz anderen Situation.

Würde man mir jetzt die Gelegenheit bieten, ein Kind zu erschießen, würde ich es natürlich nicht tun. Tatsächlich würde ich jeden, der es versuchte, aufhalten.

Aber damals war die Situation anders. Wir hatten unsere Weltanschauung und wir hatten Befehle.

Also tat ich meine Pflicht als deutscher Soldat und riss das Bündel von ihren Schultern. Ich hatte nicht einmal eine Chance, den Inhalt anzusehen.

Sie flitze schon die Straße herunter, ihr blondes Haar flog hinter ihr her.

Ich hob meine Pistole, zielte und feuerte. Meine Schüsse schlugen ins Nichts. Das Mädchen war schlau. Sie rannte nicht in einer geraden Linie.

In dem Bündel waren ein paar Kilo Brot und einige Würste. Nicht viel um sein Leben zu riskieren. Aber für diese Leute waren die Inhalte dieses Bündels eine Lebenschance.

Ihr Gesicht sagt alles. Sie denken, ich wäre ein Monster, zumindest ein ehemaliges. Wie konnte ich nur versuchen, ein kleines Mädchen zu erschießen?

Naja, ich war damals dreiundzwanzig. Ich war mit dem Nationalsozialismus aufgewachsen und akzeptierte ihn als Teil meiner selbst, die Rassenlehre inklusive.

Für mich – für uns alle da in Warschau – waren die Juden Ungeziefer, das vernichtet werden musste. Ein Krebs, der das Reich von Innen zerstören würde, wenn man es so sagen kann.

Das Mädchen war ein Kind, sicherlich, aber Kinder werden zu Erwachsenen wenn man es so zulässt, und Erwachsene zeugen mehr Kinder oder werden zu Saboteuren, Partisanen, oder Ähnlichem. Daran glaubten wir fest.

Ein paar Wochen später, es war der Sommer 1942, fingen wir mit den Deportationen an. Umsiedlung, sagten wir ihnen. Eine kurze Zeit haben sie es uns tatsächlich geglaubt.

Die Juden kamen zum Umschlagplatz, wo die Züge darauf warteten sie wegzufahren nach Treblinka und den immer-hungrigen Gaskammern.

Sie gingen in einer langen Prozession, ein See von erschöpftem Grau, heruntergebracht durch Müdigkeit, Hunger und die Bündel, die sie trugen.

In dieser grauen Masse fing eine grüne Jacke meinen Blick. Das Mädchen ging mit einer Gruppe von Kindern, wahrscheinlich Waisen, und beobachtete die Geschehnisse um sich herum in Stille.

Wäre sie an mir vorbeigegangen, hätte sie am Umschlagplatz gewartet und wäre sie in diesen Zug eingestiegen, hätte ich sie bis Ende des Krieges vergessen.

Sie wäre gestorben wie die Anderen auch, in nacktem Elend. Stattdessen hat sie es geschafft, das Unausweichliche etwas herauszuzögern.

Sogar während sich diese lange Prozession bewegte, beobachtete ich, wie sie langsam zu ihrem Rand glitt. Nun war sie zehn Meter von mir entfernt, nun waren es fünf.

Aus der Nähe betrachtet fiel mir auf wie schmutzig ihre grüne Jacke wirklich war. Sie hatte nur wegen dem grauen Schmutz der Umgebung den Anschein gehabt, mit Farbe zu leuchten.

Ziemlich plötzlich – ich war gedankenlos am Betrachten der Jacke – brach sie frei von den Rängen der Verurteilten und raste wild in Richtung der offenen Tür eines verlassenen Gebäudes.

Ich zögerte nicht. Ich zog meine Pistole und begann die Jagd, zweimal schoss ich.

Zwei meiner Kameraden schlossen sich mir an. Wir rannten zusammen die alten Treppen des Hauses hoch, grau in grau, keine Farbe, nur Dreck und Staub.

Ich wusste, dass ich sie erwischen musste, um sie zu erschießen. Sie war einfach zu schnell, zu flink, als das ich einen guten Schuss hätte landen können während sie floh.

Wir folgten dem Klang ihrer trappelnden Schritte, höher und höher. Unsere Beine waren länger und wir waren besser genährt. Wir waren schneller.

Auf dem zweiten Stockwerk erblickte ich sie wieder und feuerte unsinnig. Mein Schuss verfehlte, sie duckte in einen Raum.

Alle drei von uns blieben abrupt stehen sobald wir in diesen Raum reingerannt waren. Hinten in der Wand war ein Loch, gerade groß genug, dass ein Kind durchpassen konnte.

Tatsächlich hätte es ein gut genährtes Kind wahrscheinlich nicht geschafft. Wir hatten definitiv keine Chance.

Durch das Loch blickend, sah ich das flache Dach vom Hinterhaus des Gebäudes. Keine grüne Jacke, keine helle Haare. Die kleine Schmugglerin war uns entwischt.

Sie lächeln. Ah, ich verstehe. Die Vorstellung von der kleinen Jüdin, die den großen, bösen Deutschen entwischt, gefällt Ihnen.

Dann bereiten Sie sich auf was ganz besonderes vor. Ich habe Ihnen noch nicht das Beste erzählt.

Der Aufstand

Die Deportationen liefen weiter. Manche Leute zögerten, in das Ungewisse zu gehen, aber viele, denke ich, glaubten dass überall besser wäre als im Ghetto.

Das bedeutet nicht, dass es keine bösen Gerüchte gab. Manchmal mussten wir die Leute aus ihren Bunkern herausgraben, mit vorgehaltenem Gewehr.

Wir benutzten alle Methoden, die uns zur Verfügung standen. Von roher Gewalt hatten wir mehr als genug in Reserve. Täuschung war allerdings viel effizienter.

Den Menschen wurde Brot angeboten. Brot für jeden der am Umschlagplatz erschien, bereit mit gepackten Koffern.

Wir haben mit dieser Lüge mehr als fünfzehntausend Menschen deportiert. Zwei Transporte pro Tag waren nicht genug für den Andrang.

Leider war die kleine Schmugglerin in der grünen Jacke nicht Teil der Menge. Nicht sonderlich überraschend, in Anbetracht der Tatsachen.

Welche Tatsachen, fragen Sie? Dazu komme ich noch. Alles zu seiner Zeit.

Als die Großaktion schließlich zu Ende ging, hatten wir 250.000 Menschen liquidiert.

Im Ernst? Sie fragen was mit ihnen passiert ist. Haben sie etwa nicht zugehört? Sie wurden getötet, natürlich. Alle von ihnen.

In Ordnung, ein paar haben vielleicht überlebt. Der größte Teil wurde allerdings zu Asche.

Im späten September füllten wir die letzten Züge. Zu dem Zeitpunkt wurden die Juden unruhig. Viele verstecken sich in Bunkern, die sie selber gegraben hatten.

Diese Bunker waren uns ein Dorn im Auge. Sie verlangsamten unsere Arbeit sehr. Die Juden hatten sich verändert. Bis dahin waren sie hauptsächlich passiv geblieben.

Natürlich gab es das Schmuggeln, was in sich selbst eine Art Widerstand darstellte. Aber wir haben nie wirklich darunter gelitten. Was kümmerte es uns, wenn die Juden ein bisschen langsamer starben?

Jedenfalls wussten die Juden, was sie erwartete und dass Widerstand zwecklos war.

Einige Menschen haben sich wahrscheinlich mit ihrem Schicksal abgefunden. Ich bin sicher, dass viele es taten. Andere versuchten dem Schicksal zu entkommen, indem sie sich in diesen erbärmlichen Bunkern versteckten.

Wenige von ihnen waren erfolgreich. Aber wenigstens haben sie es versucht, könnte man sagen.

Dann gab es diejenigen, die Waffen sammelten und herstellten. Die sich Bunker nicht als Versteck gruben, sondern um sie im Kampf zu verwenden.

Sie wussten, dass sie sterben würden, und dachten sich, naja, warum sollten wir es ihnen leicht machen?

Es war ihre Art, ein Zeichen zu setzen. Eine Art von Protest, könnte man sagen. Und vielleicht war ein Teil davon einfach Verzweiflung.

Die ersten Kämpfe brachen im Januar aus. Wir hatten uns entschieden, mit einer neuen Runde von Deportationen zu beginnen.

Ich bewachte die Evakuierung eines Bunkers. Siebenundzwanzig Menschen hatten sich darin versteckt, ein Drittel waren Kinder.

Wir führten sie aus dem Haus, meine vier Kameraden und ich. Ich beobachtete zwei junge Männer, die einzigen jungen Männer in der Gruppe.

Auf diese musste man besonders achten, verstehen Sie? Sie hatten oft keine eigenen Familien und waren nicht wie die Kinder an ihre Eltern gebunden.

Man konnte damit rechnen, dass sie jeden Moment versuchen würden, zu fliehen.

Keiner der Zwei versuchte zu entkommen. Wir scheuchten die Gruppe hinaus auf die Straße und machten uns auf den Weg zum Sammelpunkt.

Von beiden Seiten ragten verfallene Häuser über die Straße; wir gingen in der Mitte entlang.

Zwei meiner Kameraden witzelten über irgendwas unwichtiges, was mich irritierte. Wir waren bei der Arbeit. Man sollte einen gewissen Grad an Wachsamkeit erwarten können.

Zum Glück war ich Wachsam. Als ich das Krachen eines Schusses hörte, duckte ich mich während einer der Witzemacher tot umfiel.

Es folgte ein Moment der Panik, in dem wir unsere Maschinengewehre zückten und die Juden flohen. Johann und Fritz feuerten ihnen nach, die Trottel.

Die anderen und ich hatten uns bereits gegen die brüchige Fassade eines der Häuser gepresst. Mehr Schüsse fielen.

Eine Kugel vergrub sich im Arm von Fritz. Endlich kamen er und Johann zu uns. Wir wussten, dass der Schütze sich direkt über uns befinden musste.

Was wir nicht wussten, war das ein Mann mit einem Molotov Cocktail im Gebäude gegenüber war.

Der Cocktail flog in einem hohen Bogen über das Kopfsteinpflaster und zersprang vor unseren Füßen. Johann und ich sprangen im letzten Moment zur Seite.

Fritz und der andere Kerl, ein blonder Junge aus Wien, hatten nicht so viel Glück. Ihre Uniformen fingen Feuer. Der schrecklich süße Geruch von brennendem Fleisch umhüllte uns.

Ich sprang nach vorne in dem Gedanke, dass ich in einem Haus am sichersten wäre. Es konnte nicht viele Angreifer geben und ich hätte in engem Raum einen großen Vorteil.

Ich tat mein Bestes, meine Schritte sanft zu halten während ich die Treppen zum dritten Stock stieg, wo ich mir sicher war, dass ich unseren Cocktail Mischer finden würde.

Das rapide Feuer von Johanns Gewehr maskierte perfekt jeden Ton, den ich vielleicht von mir gegeben habe.

Sie werden nicht überrascht sein zu hören dass derjenige, der den Cocktail auf uns geworfen hatte, ein junger Mann war, vielleicht sogar ein Teenager.

Er saß mit seinem Rücken zur Tür, den Arm zurückgezogen, bereit den nächsten Cocktail anzuzünden und aus dem Fenster zu werfen.

Ich traf ihn mit einem halben Dutzend Kugeln im Rücken; der Cocktail zerbrach auf dem Boden, harmlos. Der Junge lebte noch als ich ihn erreichte. Er gurgelte schwach.

Ich wollte ihm gerade den Gnadenschuss geben als ein leichtes trappeln meine Aufmerksamkeit ablenkte. Ich drehte mich gerade rechtzeitig um, um zu sehen wie der Rücken der grünen Jacke durch die Tür verschwand.

Sie hatte sich in der hinteren Ecke des Raums versteckt und seine Flaschen für ihn gefüllt. Es standen ein Kasten da und ein paar leere Flaschen.

Das Fehlen eines Benzinkanisters störte mich nicht. Ich bezweifelte nicht, dass sie ihn mitgenommen hatte. Und ich hatte sie komplett übersehen.

Der Gedanke, was hätte passieren können wenn sie bewaffnet gewesen wäre, jagte einen Schauer an meinem Rücken hinunter. Ich hätte sterben können.

Ihr Ausdruck gibt mir Grund zur Annahme, sie hätten diese Version der Ereignisse lieber gehört: wie sie mich erschoss während ich in den Raum schlich.

Nun, nun, leugnen Sie es nicht. Schließlich sind wir beide erwachsen.

Natürlich war der Angriff auf uns kein Einzelfall. Allerdings heizte sich die Situation erst im April so richtig auf.

Wir drangen mit voller Kraft in das Ghetto ein. Historiker behaupten, es hätte etwas mehr als 2000 von uns gegeben. Mir schien es, als marschierte ich mit einer ganzen Armee mit.

Unsere Waffen waren ihren übergeordnet und wir waren erfahrene Soldaten, aber sie kannten das Ghetto besser.

Und, das muss ich hinzufügen, sie trieb mehr als nur ein Pflichtbewusstsein an.

Ihre Bemühungen waren beachtenswert. Zwei unserer Wagen wurden am allerersten Tag durch Brandsetzte zerstört. In Stücke zerfetzt, samt Fahrer.

Etwas später haben zwei Jungen die Fahnen von Polen und der Widerstandsbewegung über dem Muranowski Platz gehisst. Es würden einige Tage verstreichen, bevor wir diese verdammten Fahnen runterreisen konnten.

Es gibt einen Verlust von unserer Seite, der in meinem Gedächtnis gestempelt bleibt. Ein Offizier, ich habe seinen Namen vergessen, hielt eine Handgranate.

Weil er sie werfen wollte, natürlich. Nein, ich habe keine Ahnung. Auf die Gebäude, von denen sie schossen oder vielleicht auf ihre Barrikaden. Es ist sowieso egal; die Granate hat seine Hand nie verlassen.

Ein Querschiesser traf die Granate. Sie explodierte in der Hand des Offiziers und jagte Stücke von ihm in alle Richtungen. Auch die linke Seite meiner Uniform war bedeckt mit Teilen von dem, das von ihm übrig geblieben war.

Ich muss zugeben, zu diesem Zeitpunkt begann ich, ein bisschen unter Schock zu leiden. Ich war bedeckt in Blut und in nicht identifizierbarem organischem Material.

Menschen schossen aus allen Richtungen. Der Klang der Explosion pfiff immer noch in meinen Ohren.

Und durch all dieses Chaos sah ich sie. Die kleine Schmugglerin in der grünen Jacke.

Im ersten Moment erkannte ich sie gar nicht. Nur die Säume ihrer Jacke waren noch grün, der Rest war bedeckt von einem grauen Film aus Staub und Dreck.

Sie war hinter eine der Barrikaden geschlüpft und bückte sich, während ich sie beobachtete, um die Waffe eines gefallenen Kämpfers aufzuheben.

Sie zielte mit der Waffe, feuerte. Der Rückstoß war zu viel für sie, die Waffe sprang aus ihren Händen. Ich stelle mir gerne vor, dass ihr Gesicht errötete.

Sie hob die Pistole wieder auf. Ich nehme an, sie wollte sie jemandem geben, der wusste, wie man sie benutzte.

Das war der Moment, in dem mein Finger anfing, gegen den Abzug zu drücken. Mein Gewehr besprühte die Barrikade mit einem Meer aus bleiernem Zorn.

Als ich endlich wieder die Kontrolle über mich gewann und der Lärm zurückgegangen war, konnte ich sie nicht mehr sehen.

Meine Güte, nein. So ist sie nicht gestorben.

Ich wusste, dass dieses Mädchen keine bloße Schmugglerin war. Sie war ein Mitglied des Widersands. Ihr war die Wahrheit der Gerüchte von Anfang an bewusst gewesen.

Ein paar Minuten später lugten ein paar Augen schüchtern über den Rand der Barrikade, und die einst grüne Jacke verschwand in einem Haus.

Das Kämpfen ging weiter. Ich erschoss Männer; ich tötete sie, auch die Frauen. Ab und an dachte ich, ich hätte das Mädchen aus dem Augenwinkel gesehen.

Feuer

Die Situation verbesserte sich, als wir begonnen, Feuer einzusetzen. Wir brannten die Gebäude, in denen sie sich versteckten, nieder und sprengten ihre Keller und Bunker, selbst die Kanäle.

Falls Sie Zahlen haben wollen: es wird angenommen, dass genauso viele vom Feuer getötet wurden wie durch unsere Kugeln.

Eine große Anzahl wurde allerdings nach Treblinka geschickt. Die kleine Schmugglerin hatte Glück: sie musste nie diese schreckliche Reise antreten.

Obwohl es meine Pflicht gewesen wäre, sie in einen Zug zu setzten oder wenigstens eine Kugel in sie zu jagen, ist sie immer wieder diesem Schicksal entgangen.

Wie sie gestorben ist, fragen Sie?

Ich weiß es nicht. Vielleicht lebt sie noch da draußen, alt und langsam wie ich. Ha, nein, ich scherze nur. Das Mädchen hat nicht überlebt. Wir haben ihr nicht wirklich eine Chance dazu gegeben.

Nun, nun, mein guter Herr. Sie haben keinen Sinn für Humor, überhaupt gar keinen.

Am Schluss war ich derjenige, der sie tötete. Nicht wie es unsere ursprüngliche Pläne vorgesehen hatten, aber es hat dennoch alles irgendwie geklappt.

Innerhalb von zehn Tagen brach der organisierte Widerstand zusammen. Wir benutzen Hunde, um die Bunker auszuschnüffeln. Rauchbomben und Sprengstoff brachten die Juden auf die Straßen.

Jedes Haus wurde vollständig abgebrannt. Nur einzelne Wände blieben stehen, ihre leeren Fenster blickten traurig auf die toten Straßen.

In einigen der Ruinen fanden wir Bunker mit Leichen. Rauchvergiftung, Feuer, alles Mögliche. Während unserem letzten Einsatz im Ghetto mit den Hunden sah ich sie wieder.

Ich habe sie zuerst gar nicht erkannt. Die Jacke war so dick mit Ruß bedeckt, dass kein bisschen Farbe durchschimmerte.

Mein Hund zog an seiner Leine. Er schnupperte an ihrem Gesicht und schritt unsicher über ihren Körper. Seine Hinterpfote klappte die Jacke auf.

Innen war das Futter noch leicht grün gefärbt.

Sie sehen verwirrt aus. Warum war sie in diesem Bunker, fragen Sie?

Ich weiß es nicht mit Sicherheit. Allerdings haben sich die meisten Leute versteckt, nachdem der Widerstand zusammengebrochen war.

Sie ist wahrscheinlich mit anderen Mitgliedern des Widerstands da runter gegangen, oder vielleicht mit Freunden. Ich bezweifle, dass sie es tun wollte.

Ich bin mir sicher, dass sie lieber im Kampf gefallen wäre, als in einem Versteck. Sie sagen sie hätte wahrscheinlich lieber gelebt? Ja, sicherlich. Aber manchmal ist das nicht möglich.

Ich kenn ihren Namen nicht, noch weiß ich wie alt sie war. Ehrlich gesagt, habe ich ihr damals nie viel Beachtung geschenkt.

Sie kam mir nur in den Sinn, wenn sie auch in meinem Blickfeld war. Danach vergaß ich sie schnell und erinnerte mich bei der nächsten Begegnung.

Es gibt viele andere wie sie, an die ich mich jetzt erinnere. Manche sah ich nur ein oder zweimal. Ein oder zwei haben sogar überlebt.

Die haben seitdem ihre Geschichten erzählt. Aber niemand wird ihre Geschichte erzählen. Nicht einmal ich. Ich weiß zu wenig.

Sie fragen, wer das Haus angezündet hat? Ich. Ich tat es, zusammen mit meinen Kameraden. Es gab Befehle, selbstverständlich.

Ja, ich verstehe. Es ist eine interessante Geschichte, aber ohne Namen und mit meiner unverlässlichen Aussage ergibt es keine gute, nun ja, Geschichte.

Und dann gibt es das Problem mit den leeren Seiten und mit mir. Was für eine wunderbare Geschichte es wäre, wenn das Mädchen sie nur selber erzählen könnte.

Bitte, ich will keine Ausreden hören. Ich weiß, dass meine Stellung als Erzähler das größte Problem ist. Niemand will die Darstellung des Täters veröffentlichen.

Lassen Sie sich nicht aus der Bahn schleudern. Es ist schon in Ordnung. Ich vergebe Ihnen.