I’d been stationed in Warsaw for more than a year when it all began. At the time I did mostly menial tasks: guard duty, actions, that sort of thing. 

Ich war schon länger als ein Jahr in Warschau stationiert, als es anfing. Zu dem Zeitpunkt führte ich hauptsächlich niedrigere Aufgaben aus: Wachdienst, Aktionen und so weiter.

Occasionally we – my comrades and I – were sent to the sewers to stop smugglers. 

Ab und an wurden wir – meine Kameraden und ich – in die Abwasserkanäle geschickt, um Schmuggler aufzuhalten.

The work in the sewers was disgusting. The stench of excrement refused to leave our uniforms for hours afterwards.

Die Arbeit in den Kanälen war abartig. Der Gestank von Exkrementen weigerte sich über Stunden hinweg, unseren Uniformen zu entfliehen.

Not that the work was in vain. We shot quite a few smugglers in our time. Only one or two were carrying weapons. 

Es war nicht, als wäre die Arbeit umsonst. Wir haben in unserer Zeit einige Schmuggler erschossen. Nur ein oder zwei von ihnen hatten Waffen.

Back then we were already aware of the possibility of some small amount of resistance. The people were starving, after all. 

Damals war uns bereits die Möglichkeit von einem bisschen Widerstand bewusst. Schließlich waren die Menschen am Verhungern. 

At that point, however, we only faced the threat of isolated pockets of resistance. The deportations had not yet begun.

Zu dem Zeitpunkt stand uns allerdings nur die Bedrohung von vereinzelten Vorfällen gegenüber. Die Deportationen hatten noch nicht begonnen.

Where to? My good man, are you not aware of your history? To Treblinka, of course.
You say you haven’t heard of that particular camp? How disappointing.


Wohin? Mein guter Herr, sind Sie sich Ihrer Geschichtskunde nicht bewusst? Natürlich nach Treblinka.
Sie sagen, sie hätten noch nie zuvor von diesem Lager gehört? Wie enttäuschend.

Yes, yes, of course you know about Auschwitz. Everyone knows about Auschwitz.

Ja, ja, natürlich kennen Sie Auschwitz. Jeder kennt Auschwitz.

Have you ever wondered why? It’s because as horrible as it was, some people survived Auschwitz. There must have been thousands who got out alive.

Haben Sie sich schon mal gewundert, warum das so ist? Es ist weil, so schrecklich wie es auch war, manche Menschen Auschwitz überlebt haben. Es muss Tausende gegeben haben, die lebendig da raus gekommen sind.

I believe the number for Treblinka is in the dozens, and only because those Jews revolted. 

Ich nehme an, dass die Anzahl für Treblinka ein paar dutzend ist, und das auch nur, weil die Juden dort einen Aufstand organisiert haben.

Everyone was killed in Treblinka. At least almost everyone.
Once you stepped or fell out of that train, you didn’t stand a chance. 
That’s what awaited these people. 


Jeder wurde in Treblinka getötet. Zumindest fast jeder. Sobald man aus dem Zug gestiegen oder gestürzt ist, hatte man keine Chance.
Das ist es, was diese Leute erwartete.


Like I said, at that point in time, the deportations had not yet started. We, my comrades and I, had our hands full combatting smugglers.

Wie bereits erwähnt, hatten zu diesem Zeitpunkt die Deportationen noch nicht begonnen. Wir, meine Kameraden und ich, hatten unsere Hände voll mit dem Bekämpfen von Schmugglern.

Many of the smugglers were children, young boys and girls, some barely older than four. They’d carry bundles of goods that weighed more than they did.

Viele der Schmuggler waren Kinder, kleine Jungen und Mädchen, manche kaum älter als vier.
Sie trugen Bündel voll Güter, die in der Regel mehr wogen als sie selbst.


Smuggling was their only chance of survival, because despite the lack of deportations, the ghetto inhabitants were kept in a constant state of starvation. 

Schmuggeln war ihre einzige Hoffnung auf überleben, denn trotz der fehlenden Deportationen wurden die Ghettobewohner in einem konstanten Hungerzustand gehalten.

These smugglers were fast and cunning. And brave, in their own way. 

Diese Schmuggler waren schnell und schlau. Und mutig, auf ihre eigene Art und Weise.

There was one in particular I can’t forget, and I’d like to tell you about her.


Es gibt eine bestimmte kleine Schmugglerin, die ich nicht vergessen kann. Ich würde Ihnen jetzt gerne von ihr erzählen.

She must have been nine or ten years old. Thin, like the rest, with fair hair and dark eyes. 

Sie muss neun oder zehn Jahre alt gewesen sein. Dünn, wie der Rest, mit hellen Haaren und dunklen Augen. 

I saw her several times while patrolling the ghetto, wearing a green coat that practically glowed in the grey filth of the place.

Ich sah sie öfters im Ghetto. Sie trug eine grüne Jacke, die im grauen Schmutz des Ortes fast leuchtete.

What surprised me anew each time I saw her, was that she always seemed a little better fed than the other kids. 

Was mich jedes Mal aufs Neue überraschte, war das sie ein bisschen besser genährt zu sein schien als die anderen Kinder.

She was thin, they were skeletal. Some collapsed dead in the streets. It’d have been obvious to anyone that she was a smuggler.

Sie war dünn, die anderen waren Haut und Knochen. Manche fielen auf den Straßen tot um. Es wäre für jeden Beobachter eindeutig gewesen, dass sie eine Schmugglerin war.

I stopped her once carrying a large bundle on her back. In broad daylight, no less. There was no rest for smugglers.

Ich habe sie einmal angehalten, als sie ein großes Bündel auf ihrem Rücken trug. Bei Tageslicht! Die Schmuggler ruhten nie. 

Well, seeing people with bundles wasn’t that unusual in the ghetto. In fact, you saw the strangest things.

Naja, es war nicht sonderlich ungewöhnlich, im Ghetto Menschen mit Bündeln zu sehen. Tatsächlich sah man die seltsamsten Sachen.

I could elaborate, but I’d be drifting off to another story entirely. I stopped her, and I questioned her.

Ich könnte Ihnen genaueres dazu erzählen, aber das wäre eine ganz andere Geschichte. Ich habe sie angehalten und befragt.

“What’ve you got there?” I asked.
“Clothes,” she replied without batting an eye.


„Was hast du da?“ fragte ich.
„Kleidung“, antwortete sie ohne mit der Wimper zu zucken.


Looking at her innocent face, you’d never have been able to tell that she was lying.

Wenn man ihr unschuldiges Gesicht anschaute, konnte man sich nicht vorstellen, dass sie log.

Fact of the matter was that I’d caught her near a suspected entrance to those retched sewers, and that children were commonly used for smuggling.

Fakt war dass ich sie in der Nähe eines vermuteten Eingangs zu diesen verfluchten Kanälen gefunden hatte und das Kinder oft als Schmuggler eingesetzt worden.

I suppose the Jews figured we wouldn’t shoot the children. They were wrong, of course, and we proved it to them rather quickly.

Ich nehme an, die Juden dachten, wir würden die Kinder nicht erschießen. Natürlich hatten sie in dieser Vermutung nicht Recht und wir haben sie ziemlich schnell eines Besseren belehrt.

Oh, the look on your face. Yes, we shot the children, too. Later on we gassed them. That was the way things were done in those days.
Don’t I regret it, you ask? 
No.


Oh, Ihr Gesichtsausdruck. Ja, wir haben auch die Kinder erschossen. Später haben wir sie vergast. So wurde es damals geregelt.
Ob ich es nicht bereue, fragen Sie?
Nein.


Allow me to explain: those things were all done by another me, in another time, in completely different circumstances. 

Erlauben Sie mir, es Ihnen zu erklären: diese Sachen wurden alle von einem anderen Ich getan, in einer ganz anderen Situation.

Were I offered the chance to shoot a child right now, of course I wouldn’t do it. In fact, I’d stop anyone who tried.

Würde man mir jetzt die Gelegenheit bieten, ein Kind zu erschießen, würde ich es natürlich nicht tun. Tatsächlich würde ich jeden, der es versuchte, aufhalten.

But back then, things were different. We had our Weltanschauung – our world view – and we had orders.



Aber damals war die Situation anders. Wir hatten unsere Weltanschauung und wir hatten Befehle.

So I did my duty as a German soldier and tore the bundle from her shoulders. I didn’t even get a chance to glance at the contents.

Also tat ich meine Pflicht als deutscher Soldat und riss das Bündel von ihren Schultern. Ich hatte nicht einmal eine Chance, den Inhalt anzusehen.

She was already bolting down the street, that blond hair flying behind her.

Sie flitze schon die Straße herunter, ihr blondes Haar flog hinter ihr her.

I raised my pistol, aimed, and fired. My shots missed wildly. The girl was smart. She didn’t run in a straight line.



Ich hob meine Pistole, zielte und feuerte. Meine Schüsse schlugen ins Nichts. Das Mädchen war schlau. Sie rannte nicht in einer geraden Linie.

Inside the bundle were a few kilos of bread and several sausages. Not much to risk your life for.
Except that for these people, the contents of that bundle were a chance at life.



In dem Bündel waren ein paar Kilo Brot und einige Würste. Nicht viel um sein Leben zu riskieren.
Aber für diese Leute waren die Inhalte dieses Bündels eine Lebenschance.


Your face says it all. You think me a monster, at best a former one. 
How could I try to shoot a little girl?


Ihr Gesicht sagt alles. Sie denken, ich wäre ein Monster, zumindest ein ehemaliges.
Wie konnte ich nur versuchen, ein kleines Mädchen zu erschießen?


Well, I was twenty-three at the time. I’d grown up with National Socialism and accepted it as part of my self, including the racial dogma.

Naja, ich war damals dreiundzwanzig. Ich war mit dem Nationalsozialismus aufgewachsen und akzeptierte ihn als Teil meiner selbst, die Rassenlehre inklusive.

Jews, to me – to all of us there in Warsaw – were pests that needed to be destroyed. A cancer that would corrupt the Reich from the inside, if you will.

Für mich – für uns alle da in Warschau – waren die Juden Ungeziefer, das vernichtet werden musste. Ein Krebs, der das Reich von Innen zerstören würde, wenn man es so sagen kann.

The girl was a child, certainly, but children grow into adults if you let them, and adults either breed more children or become saboteurs, partisans, or something similar. 
That was what we believed. 


Das Mädchen war ein Kind, sicherlich, aber Kinder werden zu Erwachsenen wenn man es so zulässt, und Erwachsene zeugen mehr Kinder oder werden zu Saboteuren, Partisanen, oder Ähnlichem. 
Daran glaubten wir fest.



A few weeks later, it was the summer of 1942, we began deportations. Resettlement, we told them. For a short while, they actually believed us. 


Ein paar Wochen später, es war der Sommer 1942, fingen wir mit den Deportationen an. Umsiedlung, sagten wir ihnen. Eine kurze Zeit haben sie es uns tatsächlich geglaubt.

The Jews would come to the Umschlagplatz, where the trains waited to take them away to Treblinka and its ever-hungry gas chambers. 

Die Juden kamen zum Umschlagplatz, wo die Züge darauf warteten sie wegzufahren nach Treblinka und den immer-hungrigen Gaskammern.

They walked in a long column, a sea of exhausted grey, worn down by fatigue, starvation, and the bundles they carried.

Sie gingen in einer langen Prozession, ein See von erschöpftem Grau, heruntergebracht durch Müdigkeit, Hunger und die Bündel, die sie trugen.

In that grey mass, a green coat caught my eye. She was walking with a group of children, orphans, probably, taking in the scene around her in silence.

In dieser grauen Masse fing eine grüne Jacke meinen Blick. Das Mädchen ging mit einer Gruppe von Kindern, wahrscheinlich Waisen, und beobachtete die Geschehnisse um sich herum in Stille.

Had she walked on past me, had she waited at the Umschlagplatz and boarded that train, I would have forgotten about her by the end of the war.

Wäre sie an mir vorbeigegangen, hätte sie am Umschlagplatz gewartet und wäre sie in diesen Zug eingestiegen, hätte ich sie bis Ende des Krieges vergessen.



She’d have died as the rest of them did, in naked agony.
Instead, she managed to delay the inevitable by just a little longer.

Sie wäre gestorben wie die Anderen auch, in nacktem Elend.
Stattdessen hat sie es geschafft, das Unausweichliche etwas herauszuzögern. 

Even as the column moved, I watched her slowly drift to its edge. Now she was ten meters away from me, now five.


Sogar während sich diese lange Prozession bewegte, beobachtete ich, wie sie langsam zu ihrem Rand glitt. Nun war sie zehn Meter von mir entfernt, nun waren es fünf.


Up close, I noticed how dirty her green coat really was. It’d only appeared to glow with colour because of all the grey grime around her.

Aus der Nähe betrachtet fiel mir auf wie schmutzig ihre grüne Jacke wirklich war. Sie hatte nur wegen dem grauen Schmutz der Umgebung den Anschein gehabt, mit Farbe zu leuchten.

Quite suddenly – I was absent-mindedly observing the coat – she broke from the ranks of the condemned and made a mad dash for the open door of an abandoned building.

Ziemlich plötzlich – ich war gedankenlos am Betrachten der Jacke – brach sie frei von den Rängen der Verurteilten und raste wild in Richtung der offenen Tür eines verlassenen Gebäudes.

I didn’t hesitate. I pulled out my pistol and gave chase, firing twice as I did.

Ich zögerte nicht. Ich zog meine Pistole und begann die Jagd, zweimal schoss ich.

Two of my comrades joined me. We raced up the stairs of the old house together, grey in grey, no colour, just filth and dust. 

Zwei meiner Kameraden schlossen sich mir an. Wir rannten zusammen die alten Treppen des Hauses hoch, grau in grau, keine Farbe, nur Dreck und Staub.

I knew I’d have to catch her in order to shoot her. She was just too quick on her feet, too nimble, for me to get a good shot as she fled.

Ich wusste, dass ich sie erwischen musste, um sie zu erschießen. Sie war einfach zu schnell, zu flink, als das ich einen guten Schuss hätte landen können während sie floh.

We followed the sound of her pattering footsteps, up and up. Our legs were longer and we were better nourished. We were faster.

Wir folgten dem Klang ihrer trappelnden Schritte, höher und höher. Unsere Beine waren länger und wir waren besser genährt. Wir waren schneller.

On the second landing, I caught sight of her again and, foolishly, fired. I missed, she ducked into a room.

Auf dem zweiten Stockwerk erblickte ich sie wieder und feuerte unsinnig. Mein Schuss verfehlte, sie duckte in einen Raum.

All three of us followed and stopped short the minute we entered that room. In the back of the wall was a hole, barely large enough for a child to fit through.

Alle drei von uns blieben abrupt stehen sobald wir in diesen Raum reingerannt waren. Hinten in der Wand war ein Loch, gerade groß genug, dass ein Kind durchpassen konnte.

In fact, a well-nourished child probably wouldn’t have made it. We definitely didn’t stand a chance.

Tatsächlich hätte es ein gut genährtes Kind wahrscheinlich nicht geschafft. Wir hatten definitiv keine Chance.

Peering through the hole, I saw the flat roof of the building’s annex on the other side. No green coat, no fair hair. We’d lost the little smuggler.

Durch das Loch blickend, sah ich das flache Dach vom Hinterhaus des Gebäudes. Keine grüne Jacke, keine helle Haare. Die kleine Schmugglerin war uns entwischt.

You’re smiling. Ah, I see. The idea of the little Jew escaping from the big bad Germans appeals to you.



Sie lächeln. Ah, ich verstehe. Die Vorstellung von der kleinen Jüdin, die den großen, bösen Deutschen entwischt, gefällt Ihnen.

Well then, you’re in for a treat. I haven’t even reached the good part yet.


Dann bereiten Sie sich auf was ganz besonderes vor. Ich habe Ihnen noch nicht das Beste erzählt.

Warsaw

Warschau

The old man whom the journalist has come to interview is in turns polite and scornful. He tells his visitor a story about the war. It takes place in Warsaw during the final years of a unique madness.
It’s not his story, and nobody else will ever tell it.


Der alte Herr, den der Journalist interviewen soll, ist abwechselnd höflich und spottend. Er erzählt seinem Besucher eine Geschichte vom Krieg. Sie findet in Warschau statt, in den letzten Jahren eines einzigartigen Wahnsinns.
Es ist nicht seine Geschichte, und außer ihm wird sie sonst nie jemand erzählen.


The SmugglerEnglish

Die SchmugglerinGerman

M. Betz

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